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Darüber spricht man nicht
09.02.2011
Tabus gibt es seit Menschengedenken. Sie sind keine offiziellen Normen, sondern die ungeschriebenen Gesetze in unserer Gesellschaft. Sie entbehren jeder Begründung, sind „vorrational“, wie Siegmund Freud es vor hundert Jahren formulierte. Die Bestrafung ist natürlich auch nicht wie bei einem Gesetz geregelt. Sie folgt beim Tabubruch, indem der/diejenige aus der Gruppe (Gesellschaft, Familie, etc.) ausgeschlossen oder geächtet wird. Scham und Angst werden zu Wegbegleitern der TabubrecherIn.

Laut Staatslexikon (Reimann 1989, S.421 f.) hat das Tabu eine wichtige soziale Funktion und steuert die Verhaltensregulierung bei: der Etablierung von Grenzen, der Anerkennung von Autoritäten, der Sicherung von Eigentums- und Herrschaftsverhältnissen und der Sicherung jeweiliger sozialer Ordnungen. Das Tabu stellt also eine besonders wirksame soziale Kontrolle dar.

Eine interessante Definition findet sich im Wikipedia (Okt. 2010): demnach seien „ein bedeutender Tabubereich in manchen westlichen Gesellschaften die eigenen, persönlichen oder finanziellen Verhältnisse". Die Geldgebarung wird hier also dem Intimbereich zugezählt. Und hier sehen wir auch das Paradoxe am Tabu: Nachdem Informationen aus dem Internet der Meinung der Mehrheit der (Internet-) Bevölkerung entsprechen, aber nicht unbedingt immer sachlich richtig sind, ist es eigentlich logisch, dass keine Erklärung folgt, denn dann wäre es ja kein Tabu mehr. Insofern ist das www. doch ein Abbild unseres Lebens: Wir reden nicht darüber, aber alle wissen es und handeln dementsprechend, indem wichtige Lebensbereiche aus dem Diskurs ausgespart werden, deren Aufklärung uns Klarheit und Entspannung bringen würde.
 
Glauben heißt nicht wissen

Tabus bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Glauben und Wissen –weil darüber nicht gesprochen wird. Tabus sind ambivalent: Sie gelten als heilig und zugleich gefährlich, eben weil keiner genau weiß, was hinter dem Tabu verborgen ist. So entstehen Mythen rund ums Thema Geld und man fragt sich selbst: „Warum und wie verdient der so viel Geld und ich nicht?“, oder: „Warum ist sie glücklicher, obwohl sie wenig Geld hat?“

Beim Geld geht es vor allem darum, wer wie viel "hat". Laut der Comdirect Studie “Kunden-Motive 2009 – Tabuthema Geld” reden 47 % der Deutschen mit ihren Freunden über den Job, 8 % über Sex und nur 4 % über Geld. Gleichzeitig verwenden viele von uns ihre ganze Zeit und Energie dafür, anderen Menschen zu zeigen, wie viel sie haben. Statussymbole und monetär definierte Werte bestimmen unser Leben, oft bis zum daraus entstehenden Burnout. Zur Weihnachtszeit ist das ein ganz großes Thema.

Warum tun wir das?

Weil wir dazu gehören wollen? Weil wir uns in der Sozialisation mit anderen Menschen sicherer fühlen? Heißt das, wir passen uns der Gruppe an, um nicht ausgeschlossen und allein zu sein? Ausserhalb dieser selbst gewählten Komfortzone fangen die Tabus an. Wer die bricht, wird gerne ausgegrenzt. Es sind aber auch andere Motive beim Geld: Auch materiell „reiche“ Menschen agieren aus dem Mangeldenken heraus, das uns von der Konsumwelt suggeriert wird. Wir dürfen nie genug haben. Das ist der Motor unserer Wirtschaft und hat sich als tiefes Verhaltensmuster festgesetzt.

Bei unserer Arbeit treffen wir viele Menschen, die ihre Komfortzone verlassen haben und sich durch Jobwechsel oder Selbständigkeit neu positionieren. Das Geld spielt da eine zentrale Rolle, weil man nun wirklich genau hinschauen und für Klarheit sorgen muss. Denn oft stehen alte Glaubensmuster und unausgesprochene Tabus im Weg, wie zum Beispiel: „Menschen mit viel Geld sind schlecht!“ oder: „Ich darf kein Geld für meine Arbeit verlangen, ich bin nicht gut genug.“ Wenn Menschen in der Lage sind, solche Glaubenssätze abzulegen, erreichen die meisten neue Lebensqualitäten, unabhängig vom Einkommen, das sich dann auch oft positiv entwickelt. So schrieb eine Klientin nach einem Coachingprozess: „Ich konzentriere mich jetzt auf das, was mich erfüllt und was ich gerne Menschen weitergeben möchte. Ich habe viel mehr Kraft für meine Arbeit, und einen besseren Blick für das, was mir wesentlich ist. Vor allem aber weicht die Angst vor dem Kommenden Stück für Stück einer großen Freude und Neugier.“

Diese junge Frau ist vom Haben übers Sein zum Selbst gekommen: Von der materiellen Befriedigung (Haben) über Arbeiten, um zu leben (Sein), zur Selbstverwirklichung. Und Geld ist für sie das, was es sein soll: Ein Tauschmittel von Mensch zu Mensch.

Brauchen wir Tabus?

Was würde passieren, wenn es beim Thema Geld keine Tabus mehr gäbe? Klar ist: Unwissen im Umgang mit Geld führt im Kleinen zu Verlusten und zu Konsumschulden und im Großen, etwa bei der Globalen Finanzkrise, zu katastrophalen Folgen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir anfangen, beim Geld Tabus zu brechen. So muss offen darüber diskutiert werden, wohin sich die Wirtschaft entwickeln soll, wollen wir keine Finanzkrisen mehr erleben. Und die Menschen müssen sich fragen, ob sie für den Preis der persönlichen Freiheit beim Konsumrausch mitmachen. Dazu brauchen wir neue Formen des Umgangs mit Geld. Regionale Komplementärwährungen können der Dezentralisierung in der (Geld-)Wirtschaft dienen. Und durch Aufklärung und neue Leithilfen sind die Menschen in der Lage, beim Umgang mit Geld Verantwortung zu übernehmen und selbstbewusst zu handeln. Das macht uns krisensicher.

Text und Bilder: Mag. Verena Florian, Bild: © acidburnblue/PIXELIO

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