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Vorsicht, Suchtgefahr!
10.08.2016
Durch das verregnete Graz und Matsch vom Augarten latschend, gelangt man in das Zirkuszelt von „Cheptel Aleïkoum“ aus Frankreich. Die Mehrzahl des Publikums befindet sich auf der Bühne. Nicht, weil sie alle auf einmal das Rampenfieber bekommen haben, sondern weil sie die Getränke und Kost, die extra für sie vorbereitet wurden, beim Zusammenkommen genießen wollten. Viele haben einfach Spaß beim made-it-yourself-Pfannkuchentisch beim Selfies machen gehabt.

Schaut man sich den Prospekt von „Cheptel Aleïkoum“ aus Frankreich an, denkt man als erstes, sie haben sich viel vorgenommen. Fahrrad fahren, akrobatische Tricks, Musikinstrumente spielen, und das alles nicht neben- oder hintereinander, sondern einfach gleichzeitig. Gewagt. Nach wenigen Minuten der Show stellt man fest: die sind der Herausforderung gewachsen. Und es geht noch weiter: mit ihrer einzigartigen gewagten faszinierenden und ungewöhnlichen Art berühren sie, beanspruchen die Aufmerksamkeit, so dass man nicht genug davon bekommen kann. Orchestermusik, Fahrradfahren, Schwingen in der Luft auf Trapez und Wippe, klassischer Gesang, Mann mit einer faszinierend hohen Frauenstimme, Schauspiel, Akrobatik -  das alles kommt unter dem Zelt aufeinander, verwickelt sich ineinander, harmoniert und packt an.

Die großartige, gleichzeitig selbstverständliche Interaktion mit dem Publikum bringt den Geist von La Strada in das Zelt hinein. Man erinnert sich, worum es sich eigentlich beim Festival handelt, was bei manchen Vorstellungen seit geraumer Zeit vollkommen abgeht. Das Publikum wird nicht einfach unterhalten, sondern es ist ein Teil dieser Unterhaltung, ein Teil der Show, ohne die diese nicht stattgefunden hätte.

Man hat zwar nicht alle Liedertexte verstanden, es wurde auch viel beinahe akzentfreies Deutsch gesprochen, es war jedoch spürbar, dass hier viele Kulturen, Sprachen, Nationalitäten aufeinander kommen, wie es teilweise auch beim Publikum der Fall war. Und jeder einzelne machte das Gesamte vollkommen.

Entzückend und ungewöhnlich war die Kostümwahl. Anzüge und 50er-Jahre-Kleidung sahen zwar auf Männern und Frauen sehr elegant aus, machte ihnen sichtbar Schwierigkeiten während der Akrobatik. Jungredakteur Jordan, 5,5 Jahre alt, faszinierte der Mann im Kilt:  "Mama, schau, ein Mann hat ein Kleid an", sagte er während der Show. Unsere Sorge war es, das Geheimnis zu lüften, ob er unterhalb des Kilts Unterwäsche trägt, während der Künstler einen Kopfstand machte. Unbesorgt konnten wir wieder aufatmen, als unter dem Kilt eine blaue Turnunterhose mit einem Stern sich zeigte.

nverständlich blieb das Statement zweier weiblicher Künstlerinnen, die während der schwierigen Akrobatiknummer, während sie jeweils auf zwei Männern standen,  einer davon auf dem Fahrrad sich fortbewegend, das T-Shirt aufrissen und ihre nackten Brüste mit der Aufschrift" LO" auf einer und" VE" auf der anderen zeigten. War das ein Nachahmungsversuch der "Femen", einer Frauenorganisation mit Wurzeln in der Ukraine, die um Frauenrechte kämpft und mithilfe nackter Körper Aufmerksamkeit erregt?

Ein genialer Abend, an dem alles möglich ist. Achtung: Es besteht Suchtgefahr.


vs

Fotos: Nikola Milatovic

die-frau.at