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Nadja Benaissa – Ist ein geplatztes Kondom fahrlässige Körperverletzung mit Todesfolge?
27.08.2010
Mit 12 Jahren machte Nadja Benaissa ihre erste Bekanntschaft mit Alkohol, danach mit Marihuana, gleich darauf mit Crack, bei dem sie laut eigenen Aussagen nicht einmal wusste, was das überhaupt ist. Mit ungefähr 14 Jahren hatte sie ihren ersten Sexualpartner. „Zu meinen Eltern hatte ich zu dieser Zeit ein sehr schlechtes Verhältnis“ (Nadja Benaissa auf stern.de). Mit 17 brachte sie ihre Tochter Leila Jamila zur Welt, was sie bis heute als das beste Ereignis in ihrem Leben bezeichnet. Die Geburt ihres Kindes sah sie als Zeichen und die Möglichkeit, in ihrem Leben einen anderen Weg einzuschlagen. Dieser Weg über eine Casting-Show zur sehr erfolgreichen Band No Angels ist bekannt.

Im April 2009 wird sie vor einem Auftritt mit den No Angels in einem Frankfurter Nachtclub verhaftet. Ihre Karriere gerät schlagartig ins Wanken.

Nadja Benaissa wird von einem Künstlermanager, von dem man außer der Abkürzung „R.S.“ keine weiteren Informationen findet, angezeigt, sie hätte ihn wissentlich bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr mit HIV angesteckt. In ihrer Tasche fand er seinen Aussagen zufolge die Aids-Medikamente Bainassas, wonach er sie zur Rede stellte und sie ihm beichtete, mit zwei weiteren Männern ungeschützten Sex gehabt zu haben. Eine ehemalige Abendschulkollegin von Nadja Benaissa sagte hingegen aus, der Anzeiger und die Angeklagte sollten mindestens einmal Geschlechtsverkehr im alkoholisierten Zustand ohne Kondom gehabt haben. Berichtet wird, sie habe im Zeitraum von 2000 bis 2004 fünf Mal Sex ohne Kondom mit drei verschiedenen Männern gehabt. Der Aussage eines 38-jährigen DJs aus Frankfurt zufolge habe sie vor Anfang der Beziehung über ihre Krankheit aufgeklärt und beide hätten niemals Geschlechtsverkehr ohne Kondom gehabt. Der andere Liebhaber, den sie bei den Dreharbeiten zu einer Fernsehshow in der Dominikanischen Republik kennenlernte, gab zu, ungeschützten Sex mit Nadja Benaissa zu haben. Beide wurden nicht infiziert.

Warum hat sich von 2 Sexualpartnern, die kein Kondom benutzt haben, nur der Künstlermanager, bei dem es anzunehmen ist, dass er in seinem Umfeld mit Drogen in Berührung kam, mit dem HI-Virus angesteckt?

War oder ist der Anzeiger Drogenkonsument?

Wie wahrscheinlich ist es, dass der anzeigende Künstlermanager in seinem Milieu mit keiner anderen HIV-Infizierten, die es vielleicht gar nicht weiß, dass sie das Virus in sich trägt, Geschlechtsverkehr hatte?

Wie wahrscheinlich ist es, dass der anzeigende Künstlermanager keinen Sexualkontakt zu einem drogenkonsumierenden Mann hatte?

Das Gericht stand nun vor der Aufgabe festzustellen, ob sich der Anzeiger R.S. tatsächlich bei Nadja Benaissa angesteckt hat, und ob sie im Wissen, ihn mit dem HI-Virus anstecken zu können, mit ihm ungeschützten Verkehr hatte oder nicht. Eine DNA-Analyse des Virenstammes der beiden hat nun laut einem deutschen Arzt ergeben, dass die Ansteckung mit größten Wahrscheinlichkeit durch Nadja Benaissa erfolgte, da beide einen eher seltenen Typus des HIV aufweisen. Ein Gutachten über denselben Stamm des HI-Virus bei Anzeiger und Benaissas als Schuldbeweis der Angeklagten ist erstaunlich. Denselben Stamm müssen dem zu folgen noch weitere Personen haben, zumindest aber derjenige, der Benaissa selbst angesteckt hat. Somit wäre es zumindest möglich, dass der Künstlermanager sich  beim Infizierer Benaissas angesteckt hat und daher der Schuldbeweis auf Grund mangelnder Eindeutigkeit fraglich.

Und das Gericht hat gestern, den 26. August 2010 enstchieden: Die Ansteckung durch Benaissa gilt als erwiesen, sie wurde der gefährlichen Körperverletzung für schuldig befunden, ihr Geständnis, ungeschützten Verkehr gehabt zu haben, sowie die Haltung des Staatsanwalts, diese Tat liege schon Jahre zurück und die Angeklagte habe sich seither sehr verändert, führten zu einem milden Urteil: Zwei Jahre auf Bewähung und 300 Stunden gemeinnützige Arbeit. Die weiteren Folgen können allerdings sein, dass die Krankenversicherung von R.S. mit einer Zivilklage versuchen wird, die Kosten für Medikamente einzuklagen.

Nach einer regulären Untersuchung während der Schwangerschaft 1999 wurde der No Angels-Sängerin mitgeteilt, sie sei HIV positiv, woraufhin sie die vorgeschriebenen Aids-Medikamente nahm. Über sich selbst sagt sie, sie sei kerngesund, und trotz der damaligen Aussage der Ärzte, sie hätte nur noch 8 Jahre zu leben, ist bei Nadja Banaissa kein AIDS ausgebrochen. Auch ihre Tochter blieb von einer Infizierung verschont. Warum ist dies so? Wann wird ein Kind bei der Geburt infiziert und wann nicht? Wie sieht der Stand der Wissenschaft dazu aus, wer sich mit HIV infizieren kann und wer nicht? Warum wurde der zweite Sexualpartner, der auch kein Kondom benutzte, nicht infiziert? Warum wird die Öffentlichkeit darüber nicht aufgeklärt? Oder ist es tatsächlich so, dass die Ärzte keine Ahnung haben und dieses Unwissen verbergen?

Wann hat ein HIV-Infizierter seine Krankheit „publik“ zu machen? Noch vor dem Geschlechtsverkehr oder erst danach? Warum ist der Künstlermanager, der sich vermutlich in einem drogenfreundlichen Milieu bewegt, selbst nicht Imstande an seine Verhütung mit einem Kondom zu denken? Hatte er vielleicht Kenntnis davon, dass er vorher schon HIV hatte? Hätte die Kenntnis über ihre Krankheit ihn daran gehindert, mit ihr zu schlafen? Wenn ein Kondom oft platzt, verrutscht etc., kann man es als sicheres Verhütungsmittel gegen HIV bezeichnen?

„Du hast so viel Leid in die Welt getragen“, sagte R.S. am Anfang des Prozesses - harte Worte. Allerdings soll er ihr zuerst mit einer Strafranzeige gedroht haben, wenn sie nicht 100.000 Euro an eine AIDS-Stiftung spenden würde (oe24.at). Die Anzeige kam, Nadja Benaissa ließ sich nicht erpressen. Und damit begann nicht nur ein Prozess, der durch alle Medien ging, zugleich begann eine wahre Hexenjagd und immer wieder kam die Frage danach auf, ob HIV-Infizierte dies öffentlich bekannt geben müssen oder nicht.

Dass der Druck durch die Karriere von Benaissa und der No Angels, die wahrscheinlich nach einem vorzeitigen Outing Schaden genommen hätte, groß war, steht außer Frage. Dazu kam, dass sie auch ihre Tochter schützen wollte. Als Tochter einer Prominenten hat es ein Kind sicher nicht einfach, doch bei einer prominenten HIV-Infizierten kann es nur noch schlimmer werden. Und das erzwungene Outing durch die Anzeige und die Medien hat genau dazu geführt.

„Unser Ansatz ist der der geteilten Verantwortung“, sagt der Sprecher der Deutschen Aids-Hilfe Jörg Litwinschuh auf curado.de zum Thema Outing. Ein verpflichtendes Outing könnte dazu führen, dass sich mutmaßliche Infizierte aus Angst vor gesellschaftlichem Druck oder gar Haft vor einem HIV-Test drücken. Was wiederum genau zum Gegenteil dessen führt, was gewollt ist: HIV wird durch Ignoranz weitergegeben.
 

 
Der Fall Nadja Benaissa wirft die Frage auf: Wann hat ein HIV Positiver die Pflicht, sich als solcher zu outen? Muss das in der Flirtphase sein? Muss er aufklären, kurz bevor es zum Akt kommt? Oder wenn man davon ausgeht, dass ein Kondom ein sicherer Schutz vor AIDS ist, muss er sich überhaupt nicht outen, solange ein Kondom verwendet wird? Oder grundsätzlich immer? Schnell befinden wir uns da in einer Gesellschaft, die ausgrenzt, statt Halt zu bieten. Schnell wird, so wie im Fall Benaissa, mit dem Finger auf Menschen gezeigt, schnell wird verurteilt, ohne die Hintergründe zu kennen. Und dann ist es nicht mehr weit zum zynischen Vorschlag, HIV-positive Menschen sollten eine auf die Infektion hinweisende Tätowierung im Schambereich tragen, so wie es die Firma Benetton bereits vor Jahren als provokative Werbung gezeigt hat.

Und nicht zuletzt stellt sich die Frage, warum sich R.S. überhaupt auf ungeschützten Geschlechtsverkehr eingelassen hat? Lag nicht zumindest die Hälfte der Verantwortung bei ihm? Und warum wird bei dieser ganzen Diskussion darüber, dass HIV-Infizierte sich öffentlich preisgeben müssen, nicht auch darüber geredet, dass es immer zwei Menschen sind, die die Wahl haben, mit oder ohne Schutz zu verkehren?

Nun meldet sich die deutsche AIDS-Hilfe zu Wort. «Unser Ansatz ist der der geteilten Verantwortung», so der Sprecher der Deutschen Aids-Hilfe, Jörg Litwinschuh auf curado.de.  Ein verpflichtendes Outing könnte zur Folge haben, dass sich mutmaßliche Infizierte aus Angst vor Stigmatisierung in der Gesellschaft vor einem HIV-Test drücken.
 

 
Allein der Unsinn der Behauptung einer geteilten Verantwortung zeigt die Irrwege im Umgang mit dem HI-Virus. Jeder hat für sich und sein Handeln die Verantwortung zu übernehmen.  Dies sollte der erste Schritt zur Vermeidung einer Ansteckung mit AIDS sein.

Oder hätte R.S. auf den Sex mit Nadja Benaissa verzichtet, hätte er von ihrer Infektion gewusst?
 

(vs)

Fotos: André D Conrad de.wikipedia
          Arne List (talk)

die-frau.at