Mütter und Töchter, Väter und Söhne. Über diese Paare und ihre Beziehungen wird mehr als genug diskutiert. Nicht umsonst hat der berühmte russische Schriftsteller Turgenjew diesem Thema sein Buch „Väter und Kinder“ gewidmet. Ausgerechnet die Mutter spielt eine wichtige Rolle für ein Kind ab dem Moment seiner Geburt bis… und hier stellt sich die Frage, wie lange denn das ausgewachsene Kind, dass nicht mehr nach der Brust schreit oder weil es eine frische Windel braucht, nicht mehr aus Zorn laut brüllt (obwohl das bleibt bei ziemlich vielen auch weiterhin so), wie lange also dieses Kind eine Mutter braucht? Wie lange hängt es noch von seiner Mutter bzw. von der Kommunikation mit ihr ab, wie lange hängt das Kind von der Meinung der Mutter ab? Wie lange braucht ein Mensch seine Mutter? Bis zu seiner Selbständigkeit? Geschieht es bis zur Geschlechtsreife? Wie wichtig ist es, dass sich das Verhältnis zur eigenen Mutter bis über die Geschlechtsreife erstreckt und in eine Freundschaft auswächst? Mehr noch: Wie natürlich ist eine solche Bindung? Und sollte man sich als erwachsene Frau, vielleicht sogar selbst Mutter, schuldig dafür fühlen, dass die Kommunikation mit der eigenen Mutter nicht funktioniert?
Frisch sind noch meine Erinnerungen daran, als meine Mitschülerinnen erzählten, wie sie mit ihrer Mutter die Kleidung gemeinsam kauften und diese dann abwechselnd trugen. Toll, dass beide die gleichen Schuhgrößen und die gleichen Konfektionsgröße haben. Warum haben dann meine Mutter und ich denn nicht die gleiche? So dachte ich mir oft nach solchen Gesprächen. Und dann hielt ich mich kurz an. Ich weiß nicht mal, was ihre Schuh- bzw. ihre Konfektionsgröße ist… Oft war es mir peinlich, denn wie kann es denn passieren, dass man mit der eigenen Mutter nicht alles teilt und sich über alles austauscht. Gleich darauf war es mir aber relativ egal. Schließlich fühlte ich mich dadurch individuell und unabhängig.
Als Teenager hing ich relativ oft vor der Glotze. Vor allem schaute ich mir die auf VIVA übertragene Sendung „Date or fake“ an. Herausragend fand ich die Sendung vor allem dadurch, dass beinahe alle jungen Frauen ihre Mutter als ihre beste Freundin präsentierten. Es gab sogar, glaube ich mich zu erinnern, eine Sendung, in der die Mütter den zukünftigen Boyfriend ihrer Töchter dateten, bevor er eine der jungen Frauen aussuchte. Was schon verrückt ist, denn welcher Mann sucht schon eine Frau aus! Wie natürlich und normal ist es, wenn eine Frau zurückgelassen wird? Aber zurück zum Thema. Immer wieder hörte man in der Sendung Aussagen a‘ la: Ich gehe mit meiner Ma am liebsten shoppen oder zum Friseur. Ihr erzähle ich sofort alles, was in meinem Leben Neues passiert und ihr vertraue ich alles an. Als ich meine Jungfräulichkeit verloren habe, war das erste, was ich gemacht habe: meine Mutter anrufen. Und und und … Ein Bekannter von mir griff sich an den Kopf, als er hörte, dass eine Frau aus dem Bekanntenkreis am liebsten das Wochenende beim Kochen und Shoppen mit ihrer Mutter verbringt. Er findet solches Verhalten einfach nur krank. So what? Sagen so ziemlich viele. Ist doch ihre Entscheidung. Und bei dieser sollen sie doch auch bleiben, wenn sie ihr Leben beim Keksebacken und Kinoabende am Sofa mit „Bridged Jones“ verbringen wollen. Apropos Bridges Jones. Das hatte für das „enge“ Verhältnis mit der Mutter katastrophale Folgen. Mal die niedlichen Strickpullover mit den Elchen erinnern. No comments…
Nichtdestotrotz will man ihr immer gefallen und ihr zuliebe alles tun. Unter diesen starken Gefühlen wie „einem zuliebe“, „gut tun“ und „allen gefallen wollen“ leidet die beste Hälfte unserer Gesellschaft. Genau weil wir von unseren Müttern so gut wie nie, oder viel zu selten auf die Schulter geklopft wurden bzw. uns so selten gesagt wurde: „Das hast du jetzt aber gut gemacht!“, versuchen wir jeden Tag, jede Sekunde unseres Leben allen zu gefallen. Wir wollen unserem Chef gefallen, unserem/r Partner/in, unseren Freunden, den Studienkollegen… Jeden Tag fangen wir damit an, was wie wir heute allen gefallen könnten. „Warum mag er mich nicht? Was habe ich jetzt schon wieder falsch gemacht? Warum nimmt er mich einfach nicht so, wie ich bin?“ Sind wir es wirklich? Ist jeder ehrlich gegenüber sich selbst? Gibt es das Rezept einer glücklichen Kindheit? Leider wurden wir alle als Kinder verletzt und es werden weitere Kinder verletzt. Der Schlüssel zum Erfolg lautet: Die Verletzungen überspringen und weitergehen.
Ich kann mein Verhältnis zu meiner Mutter weder als besonders positiv noch als negativ beschreiben. Wir stritten uns viel zu oft. Sie schwieg dann meistens aus Protest und um mich zu bestrafen. Wir haben uns schon immer schlecht verstanden. Seitdem ich im Ausland bin – und es sind gute fünf Jahre her – habe ich sie nur einmal und sie mich einmal nur für kurze Zeit besucht. Wir telefonieren maximal einmal im Monat. Meine Bekannten aus der Ukraine verurteilen mich oft dafür: Du muss dich doch dafür schämen! Gib doch zumindest ein Lebenszeichen! Muss ich mich tatsächlich dafür schämen? Kann man einen Menschen einem anderen aufzwingen? Soll man überhaupt Gefühle der Mutter gegenüber empfinden und wenn ja welche?
Seit zwei Jahren bin ich selbst Mutter. Als Mutter, als Frau, als Mensch wünscht man es sich immer, dass man die Fehler des anderen nicht einfach wiederholt. Man will einfach besser werden. Wieder mal besser - und nicht ich selbst sein. Nichtdestotrotz wünsche ich es mir, dass ich für mein Kind nein, nicht die beste Freundin werde, sondern, dass ich lerne, wo es notwendig ist, die Zügel etwas anzuspannen und wenn die Zeit kommt und die Notwendigkeit vergeht, diese auch locker zu lassen und das ausgewachsene Fohlen seinem Abenteuer zu überlassen.
Varvara Shcherbak